Ein Beitrag von Dr. Roland Roth
In den Jahren 2018 und 2019 wurde unter den Betreuerinnen und Betreuern aller über 500 lokalen Kinder- und Jugendparlamente eine Befragung durchgeführt, die auch die Zusammensetzung der Vertretungen erfragte. Die mehr als 200 Antworten korrigieren verbreitete Vorurteile, machen aber auch Verbesserungsbedarf deutlich[1].
- Geschlechtergerechtigkeit ist in den Vertretungen junger Menschen aktuell deutlich stärker verwirklicht als in den Vertretungen der Erwachsenen.
70 Prozent der Betreuer:innen berichten von einer gendergerechten, paritätischen Zusammensetzung. Überwiegend männlich besetzt sind 18 Prozent der Gremien, überwiegend weiblich 10 Prozent. Ausschließlich männlich zusammengesetzt sind nur 2 Prozent der Gremien, ein Prozent ausschließlich weiblich.
- Die soziale Zusammensetzung ist weniger repräsentativ, aber auch in dieser Dimension schneiden Kinder- und Jugendparlamente besser ab als die der Erwachsenen.
Mit Blick auf soziale Milieus und Herkunft spiegeln 55 Prozent der Kinder- und Jugendvertretungen die Zusammensetzung der jungen Bevölkerung vor Ort wider, bei 45 Prozent ist dies nicht der Fall.
- Die ungleiche Vertretung benachteiligter Gruppen von jungen Menschen ist noch immer ausgeprägt:
- Von einer proportionalen Vertretung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund berichten rund 30 Prozent der Befragten, in 27 Prozent fehlen sie gänzlich, in 4 Prozent der Gremien sind sie überrepräsentiert.
- Nur 25 Prozent berichten, dass junge Menschen aus benachteiligten Sozialräumen proportional vertreten sind, für bildungsferne Schichten berichten dies nur 21 Prozent.
- Junge Menschen mit Beeinträchtigungen sind lediglich in 6 Prozent der Kinder- und Jugendparlamente ihrem Anteil in der Bevölkerung entsprechend vertreten.
- Mit Blick auf die Altersstruktur wird deutlich, das Kinder- und Jugendparlamente im Wesentlichen Vertretungen der 14- bis 18-Jährigen sind. Jüngere oder Ältere sind seltener oder gar nicht anzutreffen. Allerdings muss dies nicht das Ergebnis von latenter Diskriminierung sein, sondern kann entsprechenden Altersregelungen geschuldet sein.
- Diese Altersstruktur (überrepräsentierte Altersgruppe von 14-18 Jahre) wirkt sich auf die Zusammensetzung nach schulischem Kontext und Ausbildungsstatus aus. Dass Schülerinnen und Schüler in Kinder- und Jugendparlamenten dominieren, ist deshalb wenig verwunderlich. Junge Menschen, die bereits erwerbstätig oder in einer Berufsausbildung sind, können in 54 Prozent der Kinder- und Jugendparlamenten nicht angetroffen werden, anteilig vertreten sind sie nur in 6 Prozent der Gremien. Ähnlich sieht es bei Jugendlichen aus, die in Freiwilligendiensten tätig sind.
Auch in Kinder- und Jugendparlamenten ist die für fast alle Engagementbereiche nachgewiesene Bildungsabhängigkeit spürbar. Grundschüler:innen sind schon altersbedingt in 70 Prozent der Gremien nicht vertreten, nur in 8 Prozent sind sie anteilig anzutreffen. Junge Menschen, die Förderschulen besuchen, sind in 55 Prozent der Gremien nicht zu finden, eine anteilige Vertretung ist nur in 10 Prozent zu finden. Schüler:innen aus Gymnasien und Fachoberschulen sind dagegen in 48 Prozent der Gremien anteilig vertreten, in 34 Prozent überwiegen sie. Schüler:innen aus Haupt- und Realschulen oder Oberschulen sind in 52 Prozent der Vertretungen anteilig vertreten, in 13 Prozent überwiegen sie. Anteilig vertreten sind Gesamtschüler:innen in 28 Prozent der Gremien, Fachschüler in 14 Prozent, Studierende in 12 Prozent.
Diese Daten belegen eine noch immer gegebene Privilegierung dieser Gruppe nach Bildungsgängen, aber sie widersprechen gleichzeitig dem verbreiteten Vorurteil, Kinder- und Jugendvertretungen seien ausschließlich eine Sache von Gymnasiast:innen. Kinder- und Jugendvertretungen repräsentieren heute in den Dimensionen Bildung, Berufsbildung und Beschäftigung weit stärker den Querschnitt der jungen Bevölkerung, als dies noch vor Jahren der Fall war. Dies hat auch mit der wachsenden Beteiligung der nachwachsenden Generation an höherer Bildung zu tun[2].
[1] Roth, Roland/Stange, Waldemar 2020: Starke Kinder- und Jugendparlamente. Kommunale Erfahrungen und Qualitätsmerkmale. Berlin: DKHW
[2] Von den Absolventinnen und Absolventen aus allgemeinbildenden und beruflichen Schulen in Deutschland verfügten 2016 bereits 41 % über eine allgemeine Hochschulreife und 11 % über eine Fachhochschulreife, 54 % hatten einen mittleren Schulabschluss erreicht und der Anteil der jungen Menschen mit bzw. ohne Hauptschulabschluss betrug lediglich 21 % bzw. 6 %. „Zwischen 2006 und 2016 stieg der Anteil
der Jugendlichen mit mittlerem Abschluss von 46 auf 54 % und derjenigen mit Abitur von 30 auf 41 %“ (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018: Bildung in Deutschland 2018. Bielefeld: wbv, S. 120). Im gleichen Zeitraum ist der Anteil der Schüler:innen mit Hauptschulabschluss von 27 auf 21 % zurückgegangen (ebd.).
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